Erkrankten in Finnland häufiger Menschen an der Schlafkrankheit Narkolepsie, weil sie die Schweinegrippe-Vakzine Pandemrix bekamen? Behörden prüfen einen Zusammenhang.
Um es vorweg zu nehmen: Für ein Schreckensszenario über gefährliche Impfstoffe taugt die Mitteilung des finnischen Gesundheitsinstituts nicht. Ungewöhnlich ist sie aber schon. Die Behörden registrierten in den Jahren 2009 bis 2010 einen Anstieg an Kindern und Jugendlichen, die an der seltenen Schlafkrankheit Narkolepsie litten. Eine eigens eingesetzte Untersuchungskommission schreibt nun in einem vorläufigen Bericht, dass es "wahrscheinlich" einen Zusammenhang mit dem Schweinegrippeimpfstoff Pandemrix der Firma GlaxoSmithKline gebe. Die Vakzine sei, zusammen mit weiteren noch unbekannten Faktoren, wohl die Ursache für den Anstieg.
Narkolepsie ist eine chronische, bislang unheilbare Schlafstörung, die nur sehr wenige Menschen heimsucht. In Deutschland leben schätzungsweise 40.000 Menschen mit der Krankheit, diagnostiziert sind erst 4000. Ihnen fehlt ein Botenstoff im Gehirn, der den Schlaf-/Wachrhythmus regelt. Mit Medikamenten ist das Leiden einigermaßen beherrschbar. Obwohl die meisten Erkrankten ständig müde sind und häufig einnicken, schläft kaum einer tief und lang. Zudem leiden Narkoleptiker häufig unter Kataplexien. Von einem Moment auf den anderen erschlafft die Muskelspannung ihrer Körper und die Erkrankten brechen bei vollem Bewusstsein in sich zusammen. Ein normaler Alltag ist unmöglich.
Die Krankheit gilt als kaum erforscht, weswegen auch die Berichte über steigende Zahlen der Erkrankungen in Skandinavien Gesundheitswissenschaftler alarmiert haben. In Finnland untersucht die sogenannte National Narcolepsy Task Force die Fälle. Sie besteht aus mehren Neurologen, Forschern und Schlafwissenschaftlern.
Die Experten durchforsteten Patientenakten und Datenbanken von Krankenhäusern und Behörden. Sie entdeckten, dass bei 60 finnischen Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen vier und 19 Jahren zwischen 2009 und 2010 Narkolepsie diagnostiziert wurde. Gewöhnlich registrieren die Behörden in Finnland jedes Jahr etwa vier bis sieben Neuerkrankungen unter Kindern. 2009 hatte das Land mit einer landesweiten Impfkampagne gegen die Schweinegrippe begonnen. 52 der 60 Kinder und Jugendlichen, die seither unter der Schlafkrankheit leiden, hatten den Impfstoff Pandemrix gegen das A/H1N1-Virus erhalten. Das entspricht einem um das Neunfache erhöhten Narkolepsie-Risiko für geimpfte Kinder und Jugendliche im Vergleich zu ihren Altersgenossen, die keine Vakzine verabreicht bekamen. In den meisten Fällen traten die Symptome der Krankheit etwa zwei Monate nach der Impfung auf. "Der beobachtete Zusammenhang ist so offensichtlich, dass sich das Phänomen kaum über etwaige Störfaktoren erklären ließe", schreiben die Experten.
Neben den Fällen in Finnland erhöhten sich auch die registrierten Narkoleptiker in Schweden und Island. Wobei die Isländer auch mehr Erkrankungen als erwartet unter der ungeimpften Bevölkerung feststellten. Außerhalb Skandinaviens wurde bislang keine Zunahme beobachtet. Zudem sind fast ausschließlich Kinder und Jugendliche betroffen. Nur zwei der geimpften Narkolepsiepatienten in Finnland seien älter als 19.
Der Hersteller von Pandemrix, GlaxoSmithKline, teilte mit, dass mehr als 31 Millionen Impfdosen in 47 Ländern weltweit verabreicht worden sind. Derzeit seien dem Unternehmen insgesamt 162 Narkolepsiefälle von immunisierten Personen bekannt, 70 Prozent davon kamen allein aus Finnland und Schweden. Auch in Deutschland verimpften die Gesundheitsämter und Ärzte Pandemrix. Das Paul-Ehrlich-Institut, das hierzulande die Sicherheit von Impfstoffen prüft und überwacht, schätzt, dass etwa acht Prozent der Deutschen das Mittel von GlaxoSmithKline bekommen haben. Das entspricht etwa 6,5 Millionen Menschen jeglichen Alters.
Es gibt auch in Deutschland Verdachtsfälle auf Narkolepsie nach der Impfung, bestätigt das Institut. Insgesamt wurden neun Erkrankungen gemeldet. Eine signifikante Häufung oder gar ein Zusammenhang mit Pandemrix ließe sich daraus aber keinesfalls ableiten. In einem Fall erholte sich ein Mädchen zudem komplett von den Symptomen. Weiterhin stehen sieben Kinder und Jugendliche im Alter von neun bis 15 Jahren sowie eine 26-Jährige im Verdacht unter der Schlafkrankheit zu leiden. In einem Fall gibt es allerdings kaum Informationen zu der betroffenen Person, zwei weitere Diagnosen stehen noch aus, und ein Patient zeigte offenbar bereits vor der Impfung Symptome.
Was die Suche nach der Ursache der erhöhten Narkolepsie-Neuerkrankungen zusätzlich erschwert: Die Schlafkrankheit lässt sich nur schwer diagnostizieren. Sie ist so selten, dass Experten nur schätzen können, dass jedes Jahr etwa eins von einer Million Kindern neu erkrankt. Die Dunkelziffer liegt sicherlich höher, denn die Symptome können sich über Jahre ausprägen. In dieser Zeit müssen sich die Betroffenen meist anhören, sie seien faul, weil sie ständig wegdösen. Viele Mediziner erkennen die Narkolepsie erst spät und diagnostizieren oftmals andere Leiden wie Depressionen oder Schizophrenie. Narkoleptischen Kindern wird oft das Zappelphilipp-Syndrom attestiert.
Dennoch ist die Häufung der Erkrankungen in Skandinavien mysteriös. Das finnische Expertenteam will nun auch nach anderen Faktoren suchen, die möglicherweise zeitgleich mit der Schweinegrippe-Impfung auftraten. Zudem wollen sie untersuchen, ob es mögliche Bestandteile von Pandemrix gibt, die Narkolepsie begünstigen. Ihren Abschlussbericht wollen sie bis Ende August vorlegen.
Daneben soll eine Studie der europäischen Gesundheitsbehörde in neun EU-Staaten einen möglichen Zusammenhang zwischen Pandemrix-Impfungen und Narkolerpsie untersuchen. Deutschland und Finnland nehmen daran teil. Erste Ergebnisse werden für den Spätsommer 2011 erwartet.
Da die Fallzahlen so gering sind, sieht die europäische Arzneimittelbehörde derzeit keinen Anlass, den weiteren Gebrauch des Impfstoffes zu unterbinden. Seit August 2010 wird auch hier der Narkolepsieverdacht geprüft. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte mit, dass es derzeit keinerlei Hinweise darauf gibt, ob andere Vakzinen, etwa jene gegen die saisonale Grippe, betroffen sind. Daher blieben die Empfehlungen für den Gebrauch der Influenzaimpfstoffe 2010/2011 "unverändert."
Quelle: zeit.de # Von Sven Stockrahm .....
Gepostet am Mittwoch, Februar 02, 2011
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