Spiel mit der Angst

Virusalarm in Deutschland: Wie gefährlich ist die Schweinegrippe?
Von Martin Koch
An Berichten über die sogenannte Schweinegrippe herrscht seit Wochen in Deutschland kein Mangel. Mal ist von einer »Todesseuche« die Rede, dann wieder heißt es, die Krankheit verlaufe milder als erwartet. Doch welche Gefahr birgt das H1N1-Virus wirklich? Ein Blick auf ein nicht nur medizinisches Phänomen.

Impfstoffproduktion bei GlaxoSmithKline in Dresden

Es begann ganz harmlos. Am 21. April dieses Jahres ließ die zentrale Gesundheitsbehörde der USA verlauten, dass sich zwei Kinder in Kalifornien mit einem neuen Influenza-A-Virus infiziert hätten. Erst nach einer Woche erfuhr die Welt, dass dieses Virus vom Subtyp H1N1 eine tödliche Influenza auslösen kann: die sogenannte Schweinegrippe. Ein Kind aus Mexiko war daran in Texas gestorben. Fortan häuften sich die Krankheitsfälle, besonders in Amerika, von wo aus das neue Virus seinen Zug um die Welt antrat.

In Deutschland wurde der erste Krankheitsfall am 29. April registriert. Ein Mann aus Regensburg hatte sich bei einer Reise in Mexiko angesteckt, wo die Zahl der bestätigten Erkrankungen inzwischen bei knapp 8000 liegt. 113 Menschen starben. Anders in Deutschland. Hier erholten sich fast alle an Schweingrippe erkrankten Personen relativ rasch. Gleichwohl brach in den deutschen Medien bereits im Mai die große Panik aus. Kaum eine Zeitung oder Fernsehanstalt versäumte es damals, den EU-Generaldirektor für Gesundheit zu zitieren: »Menschen werden durch die Schweinegrippe sterben, es ist nicht die Frage, ob Menschen sterben werden, sondern wie viele.« Dann setzte der EU-Beamte noch eins drauf und fragte: »Werden es Hunderte sein, Tausende oder Zehntausende?« Mittlerweile wissen wir mehr. Von den über 3000 Erkrankten in Europa ist bislang nur eine Person gestorben: eine 38-jährige Frau aus Schottland, die gerade ein Baby geboren hatte und seit Wochen auf der Intensivstation wegen diverser anderer Beschwerden behandelt wurde. Dennoch sprach die »Bild«-Zeitung davon, dass die Frau der »Todesseuche« zum Opfer gefallen sei.

Mediziner halten Begriffe wie »Killervirus« oder »Todesseuche« für weit überzogen. In Deutschland sind seit April 238 Menschen an Schweinegrippe erkrankt. Die Dunkelziffer freilich liege deutlich höher, meint der Hallenser Mikrobiologe Alexander von Kekulé Er vermutet, dass hierzulande weit über 2000 Menschen das H1N1-Virus in sich tragen. Doch anders als man vielleicht denken könnte, ist das nicht unbedingt eine schlechte Nachricht. Denn sie deutet erstens darauf hin, dass viele Erkrankungen so milde verlaufen, dass die Betroffenen gar nicht merken, mit H1N1 infiziert zu sein. Und zweitens könnte die verborgene Ausbreitung des Virus dazu beitragen, große Teile der Bevölkerung zu immunisieren. Gleichwohl sei nicht auszuschließen, so Kekulé, dass in den nächsten Monaten einige Menschen in Deutschland an der Schweinegrippe sterben werden.

Aufklärung tut also weiterhin Not. Zum Beispiel darüber, wie man sich mit dem H1N1-Virus infizieren kann. Manche Leute befürchten, dies könne bereits beim Verzehr von Schweinefleisch geschehen. Doch diese Sorge ist unbegründet. Wer trotzdem sicher gehen möchte, sollte alles Fleisch einfach kochen, denn das Virus wird bei 72 Grad Celsius inaktiviert. Überhaupt handelt es sich bei der Schweinegrippe nicht um eine Tierseuche, sondern um eine Humaninfektion, deren Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt, in erster Linie durch Tröpfcheninfektion, sprich durch Husten und Niesen. Dabei wiederum können Viren leicht auf die Hände gelangen und durch Schmierinfektion weiter verbreitet werden. Es ist daher empfehlenswert, sich regelmäßig und gründlich die Hände zu waschen, besonders dann, wenn man von der Arbeit oder vom Einkaufen nach Hause kommt. Denn die größte Ansteckungsgefahr lauert gewöhnlich außer Haus.

Die zweite wichtige Frage lautet: Woran kann man die Schweinegrippe erkennen? Hier gibt es in der Tat ein Problem. Denn die von H1N1 verursachten Symptome ähneln stark denen einer »gewöhnlichen« Grippe: Fieber, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Husten, Kopfschmerzen. Schnupfen gehört übrigens nicht zu den klassischen Symptomen der Schweingrippe, sondern deutet eher auf eine harmlose Erkältung hin. Manche Personen, die mit dem H1N1-Virus infiziert waren, klagten zudem über Halsschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall. Bei einer solchen Symptomlage ist eine Selbstdiagnose kaum möglich. Wer sich daher Gewissheit verschaffen möchte und dazu den begründeten Verdacht hegt, sich irgendwo angesteckt zu haben, sollte bei deutlichen Grippesymptomen einen Arzt aufsuchen. Denn auch bei einer nachgewiesenen H1N1-Infektion braucht sich niemand übermäßig zu ängstigen. Kein an Schweinegrippe erkrankter Mensch in Deutschland war bisher dem Tode nahe.

Wie jede saisonal bedingte Grippe, an der, was gern vergessen wird, regelmäßig Menschen sterben, kann auch die Schweinegrippe leicht oder schwer verlaufen. Gegen schwere H1N1-Infektionen gibt es nach Auskunft von Experten zwei wirksame Medikamente: Tamiflu (siehe Kasten) und Relenza. Allerdings sollte man diese Mittel erst nach Ausbruch der Krankheit und auf Anraten des Arztes einnehmen. Sie prophylaktisch zu schlucken, erhöht die Gefahr von Resistenzen.

Die eigentliche Bedrohung liegt in einer Mutation des H1N1-Virus. Dabei nämlich könnte ein viel gefährlicherer Erreger entstehen und sich weltweit ausbreiten. So geschehen 1918 bei der Spanischen Grippe, die übrigens ähnlich moderat begann wie die zur Zeit grassierende Schweinegrippe. Gleichwohl besteht auch hier kein Grund zur Panik, denn anders als 1918 verfügen die Menschen heute über eine bessere Konstitution, und es gibt bessere medizinische Möglichkeiten. Zumindest in Europa. In armen Ländern dagegen könnte ein derart mutiertes Virus eine soziale Katastrophe auslösen.

Was tun ?

Wer ernsthaft befürchtet, sich mit dem H1N1-Virus infiziert zu haben, sollte möglichst rasch seinen Hausarzt konsultieren, auch um zu verhindern, dass noch mehr Menschen angesteckt werden. Wer sich hingegen nur allgemein über die Schweinegrippe informieren möchte, für den Notfall sozusagen, kann das beim Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin tun, das regelmäßig einschätzt, welche Gefahren in Deutschland von der Schweinegrippe ausgehen.

Das Beratungstelefon des RKI ist von Montag bis Donnerstag zwischen 8 und 18 Uhr geschaltet: (030) 187544161. mk


Tamiflu - kein Wundermittel

Während sich bakterielle Infektionen heute wirkungsvoll mit Antibiotika behandeln lassen, sind virale Erkrankungen »von außen« nur schwer in den Griff zu bekommen. Ein Mittel, vom dem es heißt, es helfe gegen die Virusgrippe, ist das rezeptpflichtige Tamiflu. Der darin enthaltene Wirkstoff Oseltamivir zerstört die Grippeviren zwar nicht, hemmt aber, wie Studien nahelegen, deren weitere Ausbreitung im Körper. Ergebnis: Die Symptome werden gemildert, die Krankheit dauert nicht so lange, und es kommt seltener zu Komplikationen wie etwa einer Lungenentzündung.

Seit einigen Tagen allerdings häufen sich die Stimmen, die vor überzogenen Hoffnungen warnen. Es sei keineswegs klar, sagt der Bremer Pharmakologe Bernd Mühlbauer, dass Tamiflu die genannten Wirkungen entfalte. So gesehen erscheint es ratsam, das Mittel nicht inflationär zu verschreiben.

Und dennoch: Sollte es in Deutschland alsbald zu schweren Fällen von Schweinegrippe kommen, wäre es fahrlässig, auf das Medikament zu verzichten. Denn auch wenn dieses bei manchen Erkrankten keine Wirkung zeigt, heißt das nicht, dass es generell wirkungslos ist und dass die Studien, die von dieser Wirksamkeit künden, allesamt fehlerhaft sind. mk