Mitten in Dresden züchtet ein Pharmakonzern Viren für die Impfstoffproduktion. Welche Schwierigkeiten dabei bewältigt werden müssen, erklärt der Leiter der Impfstoffabteilung im Interview mit FOCUS-Online-Redakteurin C. Steinlein.
Deutschland hat 50 Millionen Dosen Impfstoff gegen die Schweinegrippe beim Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) bestellt. Das Unternehmen produziert in seinem Werk in Dresden auf Hochtouren, um der Nachfrage gerecht zu werden. Zugelassen ist der Impfstoff noch nicht. Dr. Jens Vollmar, Abteilungsleiter medizinische Impfstoffe, erklärt, wie ein Impfstoff entwickelt wird und warum das Werk in Dresden oft belächelt wird.
dpaEine Mitarbeiterin des Pharmakonzernes GlaxoSmithKline in Dresden in einem Sicherheitslabor
FOCUS Online: Sie haben das Virus erst Ende Mai von der Weltgesundheitsorganisation erhalten, und seit Wochen produzieren sie Impfstoff. Das ging schnell.
Dr. Jens Vollmar: Wir haben bereits vor Jahren mit der Entwicklung von Pandemie-Impfstoffen begonnen, nur deshalb ging das so schnell.
FOCUS Online: Die neue Grippe gibt es doch erst seit Kurzem, wie können sie da schon seit Jahren an dem Impfstoff arbeiten?
Vollmar: Wir haben einen Musterimpfstoff entwickelt, dem als letzte Zutat das Antigen des Schweinegrippe-Virus fehlte. Die passenden Antigene haben wir nun noch eingefügt. Den Musterimpfstoff haben wir schon vor einiger Zeit bei der europäischen Zulassungsbehörde eingereicht, sodass sehr viele der verlangten Tests schon durchgeführt werden konnten. Nachdem wir den Impfstoff jetzt verändert haben, werden wir noch die Ergebnisse einiger klinischer Studien nachreichen. Im August beginnen wir mit Verträglichkeitstests an Menschen.
FOCUS Online: Was ist die größte Unsicherheit?
Vollmar: Wir brauchen für den Impfstoff Viren. Diese züchten wir in Hühnereiern heran. Das ist ein biologisches System, extrem empfindlich. Im Moment wissen wir noch nicht, wie groß die Ausbeute sein wird. Davon hängt ab, wie viel Impfstoff wir letztlich in welchem Zeitraum produzieren können.
FOCUS Online: Wie viele Eier brauchen Sie dafür?
Vollmar: Beim saisonalen Grippe-Impfstoff pro Dosis ein Ei. Für den Pandemie-Impfstoff werden wir etwas weniger Eier brauchen. Wegen der Hühnereier werden wir oft belächelt. Aber das ist das zuverlässigste Verfahren, um Antigene zu züchten. Wir könnten sie auch in Zellkulturen heranwachsen lassen, aber das ist unserer Erfahrung nach noch nicht so ausgereift.
FOCUS Online: Das Werk in Dresden liegt im Stadtgebiet. Wie stellen Sie sicher, dass die Viren nicht nach draußen gelangen?
Vollmar: Der Sicherheitsstandard, den GSK in seinen Werken erfüllt, ist höher als der gesetzlich vorgeschriebene. In Dresden wird kein lebendiges Virus das Labor verlassen. Dort herrschen höchste Hygienestandards, nur qualifizierte Mitarbeiter in Schutzanzügen und mit Masken haben Zutritt, verlassen können sie die Labore nur durch mehrere Unterdruckschleusen.
FOCUS Online: Was machen Sie mit den Viren, die sie aus den Eiern ernten?
Vollmar: Die Viren werden abgetötet und in mehreren Durchgängen aufgereinigt, um Hühnerei-Bestandteile von ihnen zu entfernen. Anschließend wenden wir einen Trick an, der die Immunantwort des Menschen verstärkt, wir mischen ein sogenanntes Adjuvanssystem bei. Im Falle des Impfstoffes gegen die Schweinegrippe ist das eine Öl-Wasser-Emulsion mit Vitamin – dieser Trick wirkt gleich doppelt. Erstens brauchen wir dadurch weniger Antigene pro Impfdosis. Zweitens haben Versuche gezeigt, dass das Adjuvanssystem eine starke Kreuzimmunität bewirkt. Das bedeutet: Selbst wenn das Virus sich verändert, sollte der Impfstoff noch wirken.
FOCUS Online: Woher wissen Sie, dass der Impfstoff wirkt?
Vollmar: Wir können mit Menschen natürlich keine Wirksamkeitstests machen. Wir können sie nicht probehalber impfen und dann überprüfen, ob sie sich trotzdem mit dem Pandemievirus infizieren. Wir analysieren stattdessen das Blut auf Antikörper. Darüber können wir dann abschätzen, wie wirksam der Impfstoff sein wird.
FOCUS Online: Wann rechnen Sie mit der Zulassung?
Vollmar: Das hängt von der Zulassungsbehörde ab. Dank der Musterzulassung wird es aber ein beschleunigtes Verfahren geben.
FOCUS Online: Falls die Situation sich dramatisch zuspitzt, können Länder Impfstoff verteilen, bevor die europäische Zulassungsbehörde grünes Licht gegeben hat. Würde Ihnen das in diesem Fall schlaflose Nächte bereiten?
Vollmar: Wir rechnen nicht damit, dass das passiert, da die Zulassungsbehörde sehr schnell arbeiten wird. Aber selbst wenn mit dem Mittel geimpft würde, bevor es zugelassen ist, hätte ich keine schlaflosen Nächte. Wir impfen millionenfach. Der Pandemie-Impfstoff unterscheidet sich nicht wesentlich von einem saisonalen Grippe-Impfstoff, nur dass der saisonale meist drei unterschiedliche Virenstämme enthält und der Pandemie-Impfstoff auf einem einzigen basiert, eben dem zu H1N1. Zu dem Adjuvanssystem, das wir dem Pandemie-Impfstoff zumischen, haben wir klinische Studien mit über 39 000 Probanden durchgeführt, etwa 12 000 davon haben den Musterimpfstoff mit einem Pandemievirus erhalten. Die Impfung ist nicht gefährlich.
FOCUS Online: Werden Viren durch Impfstoffe langfristig aggressiver?
Vollmar: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Viren werden aggressiver, wenn sie sich stark verbreiten können. Je höher die Anzahl der Infizierten, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit, dass verschiedene Viren in einem Wirt aufeinandertreffen und ihre schlimmsten Eigenschaften zusammenfügen. Mit jedem geimpftem Menschen hat das Virus also weniger Chancen.
Quelle: bild.de, rp-online.de, focus.de, welt.de, berlinonline.de, AFP, mz-web.de, n-tv.de, sueddeutsche.de, spiegel.de, aerztezeitung.de.....
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