Kranke, Schwangere und Dicke kommen zuerst

Die Eckpfeiler des Impfplans, wer den Schutz vor der neuen Grippe bekommt und wie Deutschland dabei vorgehen wird, stehen bereits. Doch nicht jeder wird von der Impfung profitieren.
Von FOCUS-Online-Autorin Monika Preuk
ddp Um den vollständigen Schutz gegen A/H1N1 zu erreichen sind zwei Impfungen nötig

Die Massenimpfung gegen die neue Pandemie verunsichert und wirft viele Fragen auf: Wer wird geimpft? Wer bestimmt das? Und wer zahlt die Impfung? Fest steht bereits, dass im Prinzip nach den bereits ausgearbeiteten Plänen der WHO vorgegangen wird. Auf diese Punkte stützt sich der beratende Entwurf, über den das Bundesgesundheitsministerium am 12. August entscheiden wird. Auszüge aus dem Entwurf betreffen vor allem die Auswahl der Bürger, die zuerst geimpft werden. „Es handelt sich um eine freiwillige Impfung – und zuerst sind die Risikogruppen an der Reihe“, sagt Thomas Schulz, Pressesprecher des Gesundheitsministeriums von Thüringen, das derzeit den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz der Länder übernommen hat. Logistisch sei es nicht möglich, alle gleichzeitig zu impfen, hier müssten die Gesunden Rücksicht auf die chronisch Kranken nehmen. Ausreichend Impfstoff sei bestellt, der, wenn alle Tests durchlaufen sind, wie geplant in etwa acht bis zehn Wochen in Deutschland zur Verfügung steht. „Dabei sehen wir die Situation relativ gelassen“, beschwichtigt Thomas Schulz und warnt vor Panik. Immerhin lassen sich gegen die saisonale Grippe, die mit 8000 bis 11 000 Toten jeden Winter wesentlich gefährlicher ist als A/H1N1, nur 22 Prozent der Deutschen impfen.

Risikopatienten den Vortritt lassen
Anders als bei der üblichen saisonalen Grippe, gegen die sich vor allem Senioren impfen lassen, stehen bei der Schweinegrippe chronisch Kranke im Vordergrund. „Die Erfahrung mit A/H1N1 hat gezeigt, dass ein 30-jähriger Asthmatiker ein größeres Risiko für einen schweren Verlauf hat als ein gesunder 70-Jähriger“, erklärt Susanne Stöcker, Pressesprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts. Zu den chronisch Kranken zählen Menschen mit Herz-Kreislauf-, Leber- und Nierenkrankheiten oder Atemwegserkrankungen, Diabetes und anderen Stoffwechselkrankheiten, schwerer Fettleibigkeit (Adipositas), Multipler Sklerose mit durch Infektionen ausgelösten Schüben, angeborenen oder erworbenen Immundefekten mit T-zellulärer oder B-zellulärer Restfunktion sowie mit einer HIV-Infektion.

Sonderfall Schwangerschaft
Auch Schwangeren will man die Impfung anbieten. Denn ihre Abwehrkräfte können durch die Schwangerschaft etwas schwächer sein. Sie sind deshalb besonders anfällig für Infektionen. Werden sie krank und bekommen hohes Fieber, ist das Baby gefährdet. Die Übererwärmung kann zu Beginn der Schwangerschaft die Entwicklung des Fötus stören. Hohes Fieber im späteren Verlauf einer Schwangerschaft kann eine Fehl- oder Frühgeburt auslösen. Eine zu diesem Thema durchgeführte Studie, die im Fachjournal „Lancet“ veröffentlicht wurde, zeigt außerdem, dass bei Schwangeren die Komplikationsrate im Fall einer Infektion höher ist. Dazu zählt z. B eine Lungenentzündung. Experten raten deshalb, Schwangere bei den ersten Anzeichen einer Grippeinfektion mit Tamiflu zu behandeln.

Mediziner, Polizei und Feuerwehr
Darüber hinaus sind Beschäftigte in Krankenhäusern, Arzt- und Zahnarztpraxen, Einrichtungen der stationären und ambulanten Pflege oder stationären Rehabilitation, Apotheken, privaten Krankentransportunternehmen nach den Rettungsdienstgesetzen und Gesundheitsämtern für die Impfung vorgesehen. Auch Beschäftigte der Polizeibehörden und der Feuerwehr werden genannt. Damit will die Regierung die öffentliche Ordnung aufrechterhalten.

Die Krankenkassen müssen zahlen
Für alle aufgeführten Personengruppen – chronisch Kranke, Schwangere, medizinisches Personal, Polizei und Feuerwehr – sollen die Krankenkassen die Kosten für die Impfung auf jeden Fall übernehmen. „Wir rechnen damit, dass die Kassen auch für die anderen Versicherten, die sich impfen lassen wollen, zahlen werden“, sagt Thomas Schulz. Immerhin geht es um die Volksgesundheit und auch darum, den wirtschaftlichen Schaden, den die Erkrankungen verursachen, zu vermeiden. „Die Kosten für Medikamente und Krankenhausaufenthalte sind etwa doppelt so hoch, wie das Impfen sogar der gesamten Bevölkerung“, schätzt der Pressesprecher. Noch dazu säßen die Kassen auf einem Überschuss von einer Milliarde Euro – diese Summe sollte wieder den Versicherten zugute kommen: „Schließlich ist eine Krankenkasse keine Sparkasse.“ Über dieses Problem würde ebenfalls im August entschieden.

Der Zeitplan und falsche Zahlen
Den Ablauf der Massenimpfung legen im Detail die Länder fest. Es ist also möglich, dass in Berlin die Massenimpfung anders strukturiert ist als Hessen, Bayern oder Nordrhein-Westfalen. „Wahrscheinlich wird es im Osten so sein, dass die Gesundheitsämter impfen, im Westen die niedergelassenen Ärzte“, sagt Thomas Schulz. Auch die Kliniken könnten einen Teil der Immunisierungen übernehmen.

Zahl der Infizierten falsch definiert
A/H1N1 führt derzeit (noch) zu einer relativ milden Infektion. Wer nicht zu einer der genannten Risikogruppen gehört, gesund lebt und die Hygieneregeln beachtet, hat ein geringes Ansteckungsrisiko – und falls er sich doch infiziert, wird die Grippe bereits nach wenigen Tagen wieder vorbei sein. Wie hoch die Infektionsfälle steigen werden, ist noch unklar. Während einige Experten davon ausgehen, dass bis zu einem Drittel der Deutschen erkranken könnten, rechnet der Virologe Peter Wutzler von der Universität Jena von jetzt bis Februar 2010 mit fünf Prozent der Bevölkerung. „Bei all diesen Zahlen sollte man unbedingt beachten, dass die Grippe durchschnittlich nur sieben Tage dauert. Die wieder Gesunden sollten in einer zusätzlichen Spalte in der Statistik auftauchen“, fordert Thomas Schulz. Bisher hätte man den Eindruck, dass es mehr als 4000 Infizierte allein in Deutschland gäbe. Dass von diesen bereits 2500 wieder gesund seinen, würde vergessen und die Statistik ungerechtfertigt dramatisieren.

Quelle: bild.de, rp-online.de, focus.de, welt.de, berlinonline.de, AFP, mz-web.de, n-tv.de, sueddeutsche.de, spiegel.de, aerztezeitung.de.....