Die Schweinegrippe-Verschwörung

Kritik an Impfungen
Von Peter-Philipp Schmitt

Einige Kritiker warnen vor den Gefahren des Impfens

20. August 2009 Hans U. P. Tolzin ist gelernter Molkereifachmann - und nicht etwa Milchwirt. Darauf legt er Wert, wie er auf seiner Internetseite schreibt. Er sei auch kein Scientology, er habe nur eine Zeitlang freundschaftlichen Umgang mit Scientologen gepflegt. Heute äußert er sich über seine damaligen Erfahrungen kritisch: „Ruckblickend muss ich sagen, dass das, was ich erlebt habe, mich durchaus an die Furchtappellstrategie der Behörden und Impfstoffhersteller erinnert.“ Zudem ist er bekennender Anhänger der „Germanischen Neuen Medizin“ des „Wunderheilers“ Ryke Geerd Hamer. Der „Arzt“ Dr. Hamer, dem schon vor mehr als 20 Jahren die Approbation entzogen wurde, nimmt an, dass Erkrankungen des Menschen die Folge von „biologischen Konflikten“ sind, die mit Hilfe eigener „Confliktolyse“ geheilt werden können - es sei denn, die Schulmedizin greift ein und vergiftet den Körper.

Tolzin ist derzeit ein gefragter Mann. Sogar im „Morgenmagazin“ der ARD durfte der Impfgegner gegen die Schweinegrippe-Impfung zu Feld ziehen. Als „Experte“ griff er unter anderen einen so namhaften Wissenschaftler wie den Präsidenten des Paul-Ehrlich-Instituts, Johannes Löwer, an. Tolzin nutzt die ihm gebotenen Foren gern, die Moderatoren der ARD-Sendung widersprachen seinen medizinisch unhaltbaren Behauptungen nicht einmal.

Zunahme der Gewaltkriminalität in Deutschland

Impfkritikern wie Tolzin ist schwer beizukommen: Ihr Glaube ist so fest, dass sie sich von keinen wissenschaftlichen Fakten überzeugen lassen. Warum auch, wenn man eine Zeitzeugin wie die Amerikanerin Eleanora McBean hat, die unter dem Pseudonym „Elben“ einige der frühesten impfkritischen Schriften verfasst hat. „Vaccination Condemned“ zum Beispiel, ein Buch, das Tolzin ins Deutsche übersetzt hat. Darin heißt es über die „Spanische Grippe“, die Eleanora 1918/19 als Fünfzehnjährige unbeschadet überstanden haben will, dass die Bevölkerung nicht von einem Influenza-Virus befallen wurde. Sie sei vielmehr gezielt mit Impfstoffen verseucht worden. Nur wer keine Schutzimpfung erhalten habe, überlebte die Epidemie. Dass es zur damaligen Zeit noch keine Grippeimpfung gab, interessiert hartgesottene Impfkritiker nicht. Sie wiederholen gebetsmühlenartig die „Tatsachen aus dem authentischen Bericht“.

Der Chef des Paul-Ehrlich-Instituts, Löwer, verteidigt die Impfungen

Dabei können sich Impfkritiker sogar auf echte Mediziner und deren wissenschaftliche Studien berufen, die stets von schwersten Nebenwirkungen und massiven Impfschäden zeugen. Die Liste reicht von multipler Sklerose über das Guillain-Barré-Syndrom bis hin zu der Behauptung (von Dr. med. Gerhard Buchwald), mindestens jeder zweite Grippe-Geimpfte erkranke erst an der Grippe. Was Humbug ist: Da Grippeimpfstoffe keine infektiösen Partikel enthalten, sondern nur die isolierten Antigene des Virus, können sie keine Infektionserkrankungen hervorrufen oder auch nur befördern. Buchwald geht sogar so weit, Impfungen für den allgemeinen „Intelligenzverlust“ der Gesellschaft verantwortlich zu machen, was zu einer Zunahme der Gewaltkriminalität in Deutschland geführt habe.

Stärkung des Immunsystems durch „Masernparty“

Worum es Impfkritikern wie Buchwald oftmals geht, steht schon im Klappentext seines Standardwerks: „Impfen. Das Geschäft mit der Angst“. Dort heißt es: „Eine große Koalition von Gesundheitsbehörden, Ärzten und der Pharmaindustrie behauptet, dass Impfen vor Krankheiten schützt. Die Fakten in diesem Buch belegen: Das Gegenteil ist der Fall. Impfen macht viele Menschen krank!“ Viele Impfkritiker sind zugleich Verschwörungstheoretiker. Für Tolzin zum Beispiel steht fest, dass die Schweinegrippe ihren eigentlichen Ursprung in der „US-Seuchenbehörde CDC“ hat. Die Vereinigten Staaten sind auch unter Impfkritikern häufig Feindbild Nummer eins: Wer war zum Beispiel im Vorstand und ist einer der Hauptaktionäre des Pharmazieunternehmens Gilead, das das Grippemittel Tamiflu entwickelt hat? Der ehemalige amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.

Hochgefährliche Infektionskrankheiten wie die Masern könnten längst ausgerottet sein, wenn sich nicht ausgerechnet Impfgegner der Immunisierung verweigern würden. Damit halten sie erst ganze Impfstoffproduktionen am Leben und spielen damit denjenigen in die Hände, die sie eigentlich bekämpfen wollen: Pharmazieunternehmen. Doch nicht nur starrsinnige Impfkritiker wie Tolzin halten Masern für „eine sinnvolle Maßnahme der Natur“. Weit verbreitet unter Eltern (die oftmals erst von einer impfskeptischen Hebamme angesteckt wurden) ist die Vorstellung, Kinder sollten bestimmte Krankheiten durchstehen, weil es das Immunsystem stärke - am besten gemeinsam zum Beispiel auf einer „Masernparty“. Dass die Kinderkrankheit in vereinzelten Fällen tödlich verläuft, wird dabei verdrängt.

Wie gefährlich Impfen doch ist

Auch die Schweinegrippe scheint keine ernstzunehmende Infektionskrankheit zu sein - viel harmloser als die saisonale Grippe. Warum sich also impfen lassen, wenn die Neue Influenza überwiegend mild verläuft? Es gilt, die Risiken gegeneinander abzuwägen. Schwangere zum Beispiel sind besonders gefährdet, wie Studien zeigen. In den ersten zwei Monaten nach Ausbruch der Epidemie in den Vereinigten Staaten starben allein sechs Schwangere an der Schweinegrippe. Mediziner wissen, dass jede Grippe für schwangere Frauen gefährlich werden und zu Frühgeburten führen kann.

Schwangere sollen darum bevorzugt gegen das H1N1-Virus geimpft werden. Nun laufen zwar die ersten klinischen Studien mit verschiedenen Pandemie-Impfstoffen, doch aus ethischen Gründen werden grundsätzlich Schwangere nicht in dieTests eingeschlossen. Auch chronisch Kranke, die ebenfalls zu den Ersten gehören werden, die geimpft werden sollen, sind von den Studien ausgeschlossen. Das kann durchaus Risiken bergen und wird von Medizinern wie dem Leiter der Schweinegrippe-Impfstudie in Mainz, Markus Knuf, auch offen angesprochen.

Zugleich aber sind die heutigen Influenza-Impfstoffe mit all ihren Inhaltsstoffen so sicher, dass in den Vereinigten Staaten schon seit Jahren Schwangere mit ihnen geimpft werden. Mit den Vakzinen, die in den siebziger Jahren in Amerika gegen ein Schweinegrippevirus (ebenfalls ein H1N1) eingesetzt wurden und bei dem angeblich einige Geimpfte ein Guillain-Barré-Syndrom entwickelt haben sollen, lassen sie sich nicht mehr vergleichen. Mehr als eine Milliarde Dosen an Pandemie-Impfstoff sind inzwischen auf der ganzen Welt bestellt worden. Es ist abzusehen, dass in den nächsten Monaten Dutzende, wenn nicht Hunderte der damit Geimpften an multipler Sklerose erkranken werden, so wie es ständig passiert. Impfkritiker werden die Erkrankungen sogleich als Impfschäden deklarieren und als Beweis für ihre These heranziehen, wie gefährlich das Impfen doch ist.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa