Von Katrin Blawat
Wenig prominent stehen die Zahlen in der Einleitung eines 86 Seiten starken Berichts über die "Vorbereitung auf H1N1/2009-Influenza", verfasst von einem Beratergremium der US-Regierung. Bis zu 90.000 Menschen, heißt es dort, könnten im kommenden Winter in den USA an der Schweinegrippe sterben, unter ihnen vor allem Kinder und junge Erwachsene. Es sei ein "plausibles Szenario", dass sich in den kommenden Monaten jeder zweite Amerikaner mit dem H1N1-Virus infizieren werde.In Deutschland waren bis Montag dieser Woche 14.581 Schweinegrippe-Fälle gemeldet. (Foto: dpa)
Doch so besorgniserregend diese Zahlen klingen, so verhalten fällt die Zustimmung von Fachleuten aus. Anne Schuchat von der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC distanzierte sich in diplomatischen Worten von den Zahlen: "Wir können dieses Szenario nicht unbedingt erkennen." Auch der Harvard-Epidemiologe Marc Lipsitch rechnet nicht mit einer so hohen Zahl an Todesopfern.
Ein Kritikpunkt an dem Bericht ist das Alter der Daten, auf denen die Hochrechnung beruht. Obwohl er erst diese Woche veröffentlicht wurde, ist der Bericht auf den 7. August datiert. "Solche Modellrechnungen sind nur so zutreffend wie die Annahmen, die man ihnen zugrunde legt", sagt der Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Reinhard Burger. "Wenn man von einem Worst-Case-Szenario ausgeht, kann man korrekt rechnen und trotzdem mit dem Ergebnis weit daneben liegen."
Um das zu vermeiden, müsse man Kerneigenschaften wie Infektionsrate und Ausbreitungsgeschwindigkeit, die das Ergebnis der Hochrechnung maßgeblich beeinflussen, ständig aktualisieren. Selbst dann lasse sich wegen der vielen noch offenen Fragen nicht ausschließen, dass das Ergebnis der Modellrechnung und die Realität weit auseinander liegen.
So deutet trotz der Nachrichten aus Washington einiges darauf hin, dass sich die Infektionswelle zumindest vorläufig einem Ende nähert. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sinken die Infektionsraten auf der Nordhalbkugel und in einigen Regionen auf der Südhalbkugel. Allerdings, gibt die WHO zu bedenken, könnten die niedrigeren Fallzahlen auch dadurch zustande kommen, dass viele Staaten mild verlaufende Krankheitsfälle, wie sie bei der Schweinegrippe üblich sind, nicht mehr melden.
Doch auch in Deutschland, wo das RKI nach wie vor alle H1N1-Erkrankungen registriert, sei seit Mitte August ein rückläufiger Trend zu beobachten, sagt Vizepräsident Burger. "Wir wissen aber noch nicht, ob das eine langfristige Entwicklung ist." Insgesamt waren in Deutschland bis Montag dieser Woche 14.581 Schweinegrippe-Fälle gemeldet. Die meisten Neuerkrankungen traten bei Urlaubsheimkehrern auf.
Auf der Südhalbkugel scheint das gerade zu passieren, und auch für die Nordhalbkugel hält die WHO diesen Fall für sehr wahrscheinlich. Oder vermischt sich das Schweinegrippevirus mit dem der saisonalen Influenza - oder gar mit dem Erreger der Vogelgrippe?
Dieses Szenario, seit Ausbruch der H1N1-Pandemie am meisten gefürchtet, ist wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt, nachdem Ende vergangener Woche in Chile Puten entdeckt wurden, die sich mit dem gleichen H1N1-Stamm infiziert hatten, der auch Menschen befällt. Doch auch das H1N1-Virus selbst könnte sich so verändern, dass es schwerere Erkrankungen hervorruft als bisher. Ähnliches war zum Beispiel mit dem Erreger der Spanischen Grippe 1918 geschehen.
Einig sind sich die Fachleute allerdings darin, dass es mindestens eine zweite Ausbreitungswelle der Schweinegrippe geben wird. "Das sind Erfahrungswerte", sagt Burger. Auch die WHO rechnet nicht damit, die Verbreitung des Erregers noch stoppen zu können. Wann genau aber wieder mit einem Anstieg der Infektionsraten zu rechnen ist, kann noch niemand vorhersehen. Möglicherweise werde es aber früher sein, als man es von der saisonalen Grippe kenne, sagt Reinhard Burger.
Quelle: bild.de, rp-online.de, focus.de, welt.de, berlinonline.de, AFP, mz-web.de, n-tv.de, sueddeutsche.de, spiegel.de, aerztezeitung.de.....
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