Wahlkampf mit Virus

Von Andreas Mihm

15. August 2009 Mit großer Geschwindigkeit breitet sich das Schweinegrippevirus H1N1 in Deutschland aus. Inzwischen ist die Infektion bei mehr als 11.000 Menschen nachgewiesen – und das dürfte erst der Anfang sein. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit zwei Milliarden Menschen, also etwa jeder Dritte, an der „neuen“ Grippe erkranken. Das Virus hat sich inzwischen auch seinen Platz im Wahlkampf erobert.

Doch der bisherige Verlauf der Pandemie gibt, anders als die Umfragewerte mancher Partei, keinen Anlass zur Panik: Viele Infizierte werden gar nicht merken, dass sie angesteckt wurden.

Eine Impfung im Januar oder Februar, hilft nur wenig gegen Ansteckung

Andere werden allenfalls Symptome wie bei einer normalen Influenza spüren: Kopf- und Gliederschmerzen, leichtes Fieber und nach ein paar Tagen stehen sie wieder auf den Beinen. Nur in wenigen Fällen sind hierzulande schwere Verläufe dokumentiert. Aber es sind laut WHO weltweit mehr als 1150 Menschen an der Grippe gestorben. Allerdings gibt es gegen das leicht von Mensch zu Mensch springende Virus im Gegensatz zur „normalen“ Influenza keine Grundimmunisierung der Bevölkerung. H1N1 könnte also reiche Beute machen.

Heilen ist gut, aber Vorbeugen ist besser - und kostengünstiger

Entsprechend gut muss das Gesundheitssystem auf die Pandemie vorbereitet sein. Deutschland scheint dafür gerüstet. Apotheken und Pharmagroßhandel haben antivirale Medikamente vorrätig, Bund und Länder haben Millionen mit Steuergeldern bezahlter Packungen „Tamiflu“ und „Relenza“ auf Lager. Resistenzen dagegen sind nur vereinzelt bekannt.

Heilen ist gut, aber Vorbeugen ist besser – und kostengünstiger: Der volkswirtschaftliche Schaden eines Ausfalls Hunderttausender Arbeitnehmer ginge in die Milliarden und würde mitten in die zum Herbst und Winter hoffentlich beginnende Konjunkturerholung fallen. Die Kassen müssten hohe Behandlungskosten tragen. Die Kosten für eine Impfung mit zwei Spritzen werden dagegen nur auf 28 Euro taxiert: 10 Euro für das Spritzen, 18 Euro für den Impfstoff. Das wird ein schönes Zusatzgeschäft für die Pharmakonzerne.

Wer sollte sonst dafür aufkommen als die Krankenkassen?

Für die Krankenkassen wird das teuer. Wie teuer, weiß heute niemand. 50 Millionen Impfdosen haben Bund und Länder als erste Tranche bestellt. Das reicht für 30 Prozent der Bevölkerung. Würden doppelt so viele Menschen sich impfen lassen, verdoppelten sich die kalkulierten Kosten von 700 Millionen Euro schnell auf anderthalb Milliarden. Wenn die Massenimpfungen – erst Gesundheitsberufe, Polizei und Feuerwehr, dann Schwangere und chronisch Kranke – in den Gesundheitsämtern vorgenommen werden, wird es billiger, als wenn die Hausärzte das übernehmen. Denn die dürfen das seit der jüngsten Honorarreform abrechnen, weil Ärzte das finanzielle Risiko für eine Krankheitswelle nicht tragen sollten.

Wenn schon niemand bereit ist, die Bürger ihre Impfkosten mit Ausnahme von Risikogruppen selbst zahlen zu lassen – wer sollte sonst dafür aufkommen als die Krankenkassen? Was für die private Krankenversicherung selbstverständlich ist, soll aber nicht für die gesetzlichen Kassen gelten. Diese behaupten, das zugewiesene Geld reiche heute nicht und im kommenden Jahr aufgrund der Beitragsausfälle wegen der Krise erst gar nicht. Deshalb müssten sie Zusatzbeiträge erheben.

Eine Lösung mit Haken und Ösen

Die Drohung mit dem „Zusatzbeitrag wegen Schweinegrippe“ hat im Wahlkampf gewirkt. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat den Kassen eine Beteiligung an den Kosten zugesichert. Für die erste Hälfte der Kassenpatienten zahlen die Kassen die Impfung, für die zweite Hälfte sollen Bund und Länder einspringen. Das zeigt einmal mehr, wie fatal es ist, dass die Regierung seit der Gesundheitsreform die Kasseneinnahmen festlegt. Sie wird erpressbarer.

Schmidts Lösung ist eine mit Haken und Ösen. Einerseits hat sie das Versprechen abgegeben, ohne die Länder zu fragen. Die aber wollen sich an den im nächsten Jahr entstehenden Kosten nicht beteiligen. Darüber wird zwischen Bund und Ländern schon heftig gestritten. Damit ist offen, wer für den Staatsanteil ins Obligo muss: der klamme Bundesfinanzminister oder die für die Gefahrenabwehr zuständigen Länder? Die Zeit drängt, das Kabinett will die Verordnung am Mittwoch beschließen.

Impfstoff für 80 Prozent der Deutschen

Andererseits weiß niemand, wie hoch die Extrakosten für den Steuerzahler ausfallen. Denn die Deutschen stehen Impfungen skeptisch gegenüber. Der alljährlichen Empfehlung für die Influenza-Impfung folgen nur 22 Prozent der Bevölkerung.

Vor dem Hintergrund erscheint die Empfehlung Schmidts, Impfstoff für 80 Prozent der Deutschen zu bestellen, wie ein Geschenk an Impfstoffhersteller Glaxo-Smith-Kline und Novartis. Auch hilft eine Impfung im Januar oder Februar, auf dem Höhepunkt der Grippesaison, wohl nur wenig gegen Ansteckung und Erkrankung. Bis dahin aber dürfte eine Impfaktion mindestens dauern, die mehr als die Hälfte der Deutschen erreichen soll.

Das Versprechen, jeder Bürger, der wolle, könne sich gegen das Schweinegrippevirus impfen lassen, beruht auf der unausgesprochenen Hoffnung, dass viele sich gar nicht impfen lassen wollen. Sonst ließe sich diese Zusicherung kaum einhalten.

Text: F.A.Z. Bildmaterial: picture-alliance/ dpa