50 Prozent der Infizierten erkranken nicht

Test, Impfung, Risiko: Die Schweinegrippe verunsichert die Menschen. Prof. Matthias Stoll, MHH-Immunologe, beantwortet die wichtigsten Fragen.

Prof. Stoll, derzeit treten in der Region Hannover täglich rund 30 Neuinfektionen mit der sogenannten Schweinegrippe auf. Kann man da schon von einer richtigen Grippewelle sprechen?
Wir erleben in Hannover erst den Beginn einer Grippewelle. Die Zahl der Neuinfektionen ist, gemessen an einer saisonalen Grippe, zwar noch verschwindend gering, aber man muss berücksichtigen, dass sich die neue Influenza mitten im Sommer ausbreitet. In einer Zeit also, die dem Virus eigentlich keine guten Bedingungen bietet - denn Grippeviren lieben winterliche Temperaturen.

In Argentinien spitzt sich die Lage spürbar zu: Mit dem dortigen Wintereinbruch ist die Zahl der Toten auf rund 250 emporgeschnellt. Müssen wir uns auf ähnliche Verhältnisse einstellen?
Prinzipiell ja, denn die kalte Jahreszeit bietet dem Virus bessere Verbreitungs-chancen. Dennoch können wir vorerst recht gelassen bleiben, schließlich verläuft die Infektion zumeist sehr mild. Wir gehen sogar davon aus, dass 50 Prozent aller Infizierten überhaupt kein Krankheitsbild entwickeln. Das ist gut für die Betroffenen - allerdings auch für das Virus, denn auf diese Weise kann es sich unbemerkt verbreiten.

Gerade auf Massenveranstaltungen kann eine solche „geräuschlose Ansteckung“ leicht erfolgen. Sollte man also lieber nicht auf das Maschseefest?
Nein, aber man sollte achtsam sein. Derzeit ist das Risiko einer Ansteckung ja noch sehr überschaubar, selbst wenn man die Fallzahlen verdoppelt, um den „stillen“ Infektionen Rechnung zu tragen. Hinzu kommt, dass das Maschseefest eine Open-Air-Veranstaltung ist - und frische Luft kann das Virus partout nicht leiden.

Laut Region könnten sich auf dem Höhepunkt der Pandemie bis zu 30 Prozent der Bevölkerung infizieren. Ist das nicht reichlich hoch gegriffen?
Nein, das ist keineswegs an den Haaren herbeigezogen. Aus vorangegangenen Pandemien wissen wir, dass sie auf ihrem Höhepunkt binnen acht Wochen sogar die Hälfte der Bevölkerung betreffen können.

Derzeit wird über den Test auf die H1N1-Influenza diskutiert. Er ist kostspielig und überlastet die Labore. Wäre eine Abschaffung da nicht angemessen?
Nein. Wir brauchen den Test, um Infektionsfälle zweifelsfrei identifizieren zu können. Nur so bekommen wir Sicherheit, wie und vor allem wo sich das Virus verbreitet und zu welchen Krankheitsverläufen es führt. Zudem liefert der Test eine wichtige Grundlage für die Behandlung. Denn nur wenn der Betreffende wirklich eine Influenza hat, ist die Gabe von Grippeblockern sinnvoll. Ohne eine berechtigte Indikation würden wir Resistenzen riskieren und das schärfste Schwert im Kampf gegen die neue Influenza verlieren.

Die Krankheitsfälle nehmen trotz der Absonderung von Infizierten und ihren Kontaktpersonen stetig zu. Hat die Quarantäne da überhaupt noch Sinn?
Ja. Es gibt eigentlich nur zwei Gründe, die Quarantäne auszusetzen: Zum einen, wenn die Pandemie außer Kontrolle gerät, zum anderen, wenn die Infrastruktur unseres Gesundheitswesens mit dem Seuchenmanagement an ihre Grenzen stößt. Von beidem sind wir weit entfernt. Die derzeit herrschenden Richtlinien, wonach Infizierte isoliert werden und Kontaktpersonen mit Einschränkungen, etwa einem befristeten Arbeitsverbot, belegt werden, halte ich für angemessen.

Bezüglich des Impfstoffs herrscht Verwirrung. Bis vor wenigen Tagen hieß es, er solle im September verfügbar sein, nun häufen sich Stimmen, die von einer späteren Auslieferung - etwa im November - sprechen. Wodurch kommen derartige Verzögerungen zustande?
Als die ersten Termine für den Impfbeginn kursierten, standen alle unter dem Eindruck tödlicher Krankheitsverläufe in Mexiko. Man ging folglich davon aus, schnell reagieren zu müssen. Nun, da sich die Lage doch deutlich entspannter darstellt, bleibt genug Zeit, den Impfstoff zu optimieren und ausführlich zu testen. Und das kann seiner Wirksamkeit und Verträglichkeit nur zugute kommen.

Zunächst soll knapp ein Viertel der Bevölkerung geimpft werden. Allein diese Maßnahme schlägt mit rund 600 Millionen Euro zu Buche. Ist das Geld gut angelegt?
Definitiv. Die Kosten der Impfung sind „Peanuts“ gegenüber den wirtschaftlichen Schäden, die eine außer Kontrolle geratene Pandemie anrichten würde. Denken Sie an Betriebe, die dichtmachen müssten und an Verkehrsnetze, die zum Erliegen kämen. Das wären Milliardenkosten.

Derzeit rüsten sich viele Betriebe in der Region für eine Verschärfung der neuen Influenza. Wird sich am Ende womöglich zeigen, dass so manche Maßnahme übertrieben war?
Nein, die Betriebe tun gut daran, die Lage ernst zu nehmen, denn es kann jederzeit zu einer Pandemie mit schlimmeren Krankheitsfällen kommen.

Alles in allem: Mit welchem Verlauf der neuen Influenza rechnen Sie in der Region Hannover?
Schlimmstenfalls kann es bis zum Ende des Jahres mehr als die Hälfte der Bevölkerung treffen. Panisch sollte man deshalb nicht werden, denn aus Sicht des Virus besteht keine Veranlassung, aggressiver zu werden. Schließlich verbreitet es sich auch in der milden Form sehr gut.

Interview: Daniel Behrendt

Quelle: bild.de, rp-online.de, focus.de, welt.de, berlinonline.de, AFP, mz-web.de, n-tv.de, sueddeutsche.de, spiegel.de, aerztezeitung.de, haz.de.....